Sonntag, 7. März 2021

Dichtung in dürftiger Zeit - No. 3

 Eines meiner Lieblingsgedichte von Dylan Thomas One of my favourite Poems from Dylan Thomas

Dylan Thomas reads 

"Do Not Go Gentle Into That Good Night"




Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.

Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Good men, the last wave by, crying how bright
Rage, rage against the dying of the light.
Do not go gentle into that good night.
Wild men who caught and sang the sun in flight,
And learn, too late, they grieved it on its way,
Rage, rage against the dying of the light.
Grave men, near death, who see with blinding sight
Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
Rage, rage against the dying of the light.
And you, my father, there on that sad height,
Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.
Do not go gentle into that good night.

Der leise und gelinde Zweifel

EXTEMPORA

Am Ende meiner Realschulzeit, vor vielen Jahren, wurde ich von meinem Deutschlehrer in der 9. Klasse ausgesucht, in der Abschlussfeier für das 10. Schuljahr das Gedicht von Bertold Brecht vorzutragen "Der Zweifler". An diese Episode muß ich mich immer erinnern, wenn ich in jeder Woche mit großem Vergnügen diesen Podcast höre 


indubio Podcast     


Website Deutsche Lyrik

Bertold Brecht

Der Zweifler

    Immer wenn uns
   Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
   Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
   Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiele und
   Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
   So sehr zweifelte.

   Ich, sagte er uns
   Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
   Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
   Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
   Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
   Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
   Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
   Tragt ihr die Schuld. Es kann auch eindeutig sein
   Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
   Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt. Euer Ding ist dann leblos
   Seid ihr wirklich im Fluß des Geschehens? Einverstanden mit
   Allem, was wird? Werdet ihr noch? Wer seid ihr? Zu wem
   Sprecht ihr? Wem nützt es, was ihr da sagt? Und nebenbei:
   Läßt es auch nüchtern? Ist es am Morgen zu lesen?
   Ist es auch angeknüpft an vorhandenes? Sind die Sätze, die
   Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt? Ist alles belegbar?
   Durch Erfahrung? Durch welche? Aber vor allem
   Immer wieder vor allem anderen: Wie handelt man
  Wenn man euch glaubt, was ihr sagt? Vor allem: Wie handelt man? 

   Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
   Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
   Begannen von vorne.


Montag, 22. Februar 2021

Von Clowns und anderen weisen Menschen 3

 Wenn alles gesagt, wenn alles Diskutieren und Palavern niemanden weiterbringt, dann schlägt die Stunde des Weisen, des Harlekins, des Clowns, des Narren, der lange Zeit zuvor die Dinge schon beim Namen nannte, die wirklich wichtig sind auf dieser Erde.



Lauf der Dinge -
und die sauberen Herren (und Damen)

Zuerst kommen die
Die dich umhegen und pflegen dich sauber halten
Dich baden und ölen
Ein Nest bauen
Dich ermuntern zu sprechen dir Schritte beibringen
Dich größer und größer ziehen
Dich in Kleider wickeln und für dich einen Namen suchen

Dann kommen die
Die dich begaffen beschnüffeln betasten und tätscheln
Rasseln und Glöckchen mitbringen
Spiegel und goldene Löffel
Dreirad Schwammdose Tafel und Ranzen
Dich tagelang drehen und wenden
Damit du der Feinste bist

Dann kommen die
Die dich mustern und schätzen dich loben und tadeln
Setzen und aufstehen
Dich bilden damit du zu höherem Wesen langsam hinaufwächst
Mit Stöckchen auf deine Finger schlagen
Auf dass du Charakter und Rückgrat dir anschaffst

Dann kommen die
Die dir Berge und Flüsse zeigen
Eingerichtete Häuser Silbergruben und Aufsichtsräte

Dann kommen die
Die dich anwerben für eine Sache
Für die man durchs Feuer gehen sollte
Am besten ist es natürlich
Wenn andere durchs Feuer gehen
Darum sagen sie dir
Dass das Feuer auch nur vorübergehend
Und danach der Himmel wieder erscheinen würde

Dann kommen die
Die dir die Kleider von Leib ziehn
Und dich in Rüstungen stecken
Damit du gegebenenfalls dich deiner Haut zu wehren weißt

Dann kommen die
Die dich segnen und preisen
Weil von Berufs wegen das so üblich
Und dadurch die Kampfkraft erheblich wächst

Dann kommen die
Die dich verbrennen mit Napalm und allerlei schon
Bewährten Vernichtungsmaschinen
Die dir beweisen dass das sehr schnell geht
(Sozusagen ruckzuck) und darum human ist

Dann kommen die
Die dich zahlenmäßig erfassen
Und es nicht fassen können
Es sind dieselben
Die dich umhegten und pflegten
und für dich einen Namen suchten
Die dir Spiegel und goldenen Löffel brachten
Die dir Charakter und Rückgrat einbliesen
Dich sauber hielten
Dir Berge und Flüsse zeigten
Und von einer heiligen Sache sprachen

Und schon wieder dabei sind
andere sauber zu halten
Um keinen Schweinestall aus dieser Erde zu machen
denn so sauber wie ihre frömmelnden Finger
Sind ihre glühenden Öfen und Bomben

So sauber wie ihre Gesinnung
Sind ihre Zähne
Die sie in Menschen schlagen
In roher Gesundheit

So schnell wie sie alles sauber halten
Ist auch dein Tod
Damit nicht Fliegen und Geier die Gegend bevölkern
Schicken die sauberen Herren (und Damen) das schmutzige Volk
unter die Erde

Wann schickt das schmutzige Volk die sauberen Herren (und Damen)
In ihren mit allen Wassern gewaschenen Himmel?


            -          Hanns Dieter Hüsch (2001),
                   Ein gütiges Machtwort
,
                   tvd, Düsseldorf, 1. Aufl,  S.143ff   -


Mittwoch, 6. Januar 2021

»Wiederbelastung« Götz Kubitschek zu Simon Strauß

Dichter in 'dürftiger' Zeit

 


 
»Ein bißchen Konsensstörung, ein bißchen innerer Aufstand, ein bißchen Provokationsprofil – mehr soll und darf nicht mehr gewollt werden, denn alles, was darüber hinaus reicht und zur Kollektivaufladung führt, die das Ende der Geschichte vertagen wollen, wäre verantwortungslos.« – Simon Strauß



Der Tod des Individuums in der verwalteten Welt - Ein "Nachwort" zum Jahreswechsel

 Im Stimmenwirrwar unserer Zeit findet sich nur Weniges, was über die alltäglichen Oberflächlichkeiten hinausgeht und was sich möglicherweise als so tragfähig erweist, daß es sich lohnt, es gleichsam als "Reiseproviant für die Reise durch die Nacht" bei sich zu tragen. Ein Reiseproviant den man dann im Bedarfsfall zur Hand hat, auf den man zurückgreifen kann. Zu diesem Wenigen gehören zweifellos die Beiträge von Gunnar Kaiser, die ich jedem, der open-minded ist nur ans Herz legen kann.

Hier eine Art "Nachwort" zum Jahreswechsel:

 




Sonntag, 9. August 2020

Von Clowns und anderen weisen Menschen 2

 

... übe die Beine in die Hand zu nehmen!

                Übe es jeden Morgen! 

          Übe es jeden Abend!             

          Übe es sogar im Traum, übe es!

           im Gedenken an Hanns-Dieter Hüsch 

 

 


Samstag, 8. August 2020

Von Clowns und anderen weisen Menschen

Wenn alles gesagt, wenn alles Diskutieren und Palavern niemanden weiterbringt, dann schlägt die Stunde des Weisen, des Harlekins, des Clowns, des Narren, der lange Zeit zuvor die Dinge schon beim Namen nannte, die wirklich wichtig sind auf dieser Erde.

HDH, Hanns Dieter Hüsch zum Gedenken


Bedenkt, dass jetzt …


Bedenkt, dass jetzt um diese Zeit, der Mond die Stadt
erreicht.
Für eine kleine Ewigkeit sein Milchgebiss uns zeigt.
Bedenkt, dass hinter ihm ein Himmel ist,

den man nicht definieren kann.

Vielleicht kommt jetzt um diese Zeit
ein Mensch dort oben an.
Und umgekehrt wird jetzt vielleicht
ein Träumer in die Welt gesetzt.
Und manche Mutter hat erfahren,
dass ihre Kinder nicht die besten waren.
Bedenkt auch, dass ihr Wasser habt und Brot,
dass Unglück auf der Straße droht,

für die, die weder Tisch noch Stühle haben
und mit der Not die Tugend auch begraben.

Bedenkt, dass mancher sich betrinkt,
weil ihm das Leben nicht gelingt,

dass mancher lacht, weil er nicht weinen kann.
Dem einen sieht man’s an, dem anderen nicht.

Bedenkt, wie schnell man oft ein Urteil spricht.
Und dass gefoltert wird, das sollt ihr auch

bedenken.
Gewiss ein heißes Eisen, ich wollte niemand kränken,

doch werden Bajonette jetzt gezählt und wenn eins
fehlt, es könnte einen Menschen retten,

der jetzt um diese Zeit in eurer Mitte sitzt,
von Gleichgesinnten noch geschützt.

Wenn ihr dies alles wollt bedenken,
dann will ich gern den Hut, den ich nicht habe,

schwenken.
Die Frage ist, die Frage ist,

sollen wir sie lieben, diese Welt?
Sollen wir sie lieben?

Ich möchte sagen, wir wollen es üben.


-          Hanns Dieter Hüsch (2001),
      Ein gütiges Machtwort
,
      tvd, Düsseldorf, 1. Aufl,  S.123   -